Zur Zeit nehme ich an einem Autorenworkshop teil und möchte dafür einen Thriller schreiben. Das Thema soll „gefälschte Medikamente“ sein, da es zur Zeit recht aktuell ist. Dabei muss es allerdings um etwas Wesentliches gehen, nicht um Viagra, das man aus dem Internet kaufen kann.
Bei einer Doku auf Arte habe ich z.B. ein Interview mit einem pharmazeutischen Großhändler aus Schleswig-Holstein gesehen. Diesem wurde ein Antikörper zu einem besonders günstigen Einkaufspreis von einem in Dubai ansässigen Unternehmen angeboten. Der Antikörper wird in der Krebstherapie eingesetzt. Der Großhändler ließ das Produkt zum Glück überprüfen und fand heraus, dass es keinen Wirkstoff enthielt. Er lehnte den Kauf ab und informierte die Krankenkassen, die wiederum die Staatsanwaltschaft informierten. Am Ende geriet der Großhändler trotz allem selbst in Verdacht und verlor die Lizenz.
Als ich meine Story-Idee bei unserem letzten Autoren-Treffen vorstellte, waren die anderen Teilnehmer jedoch der Meinung, dass es in Deutschland keine gefälschten Medikamente gibt und dass weder Pharmaunternehmen, noch Händler oder Apotheker bei den strengen Kontrollen damit durchkämen. Danach habe ich ein bisschen recherchiert (und bin immer noch dabei) und tatsächlich soll der Anteil der gefälschten Arzneien in Deutschland nur 1 Prozent betragen (in 3. Welt-Ländern liegt er bei ca. 30 %). Trotzdem habe ich bei einer Umfrage gesehen, dass ca. 60 % der Deutschen der Meinung sind, sie hätten schon mal ein gefälschtes Medikament in den Händen gehalten. Dummerweise finde ich die Quelle jetzt nicht mehr, sonst würde ich sie angeben.
Wie seht ihr das? Habt ihr Vertrauen in unser System? Könnt ihr euch einen Fall vorstellen, bei dem ihr ein gefälschtes Medikament erhaltet? (Unter Fälschungen verstehe ich wirklich Fälschungen, also Produkte, bei denen die Verpackung geändert wurde und etwas anderes drin ist, als drauf steht. Oder aber Produkte, die überhaupt nicht wirken, weil sie z.B. nur gefärbtes Wasser enthalten. Oder Produkte, die schlimme Nebenwirkungen erzeugen, gerade weil sie mit schädlichen Substanzen gestreckt sind, aber nicht mit der Originalsubstanz. Generika zählen auf keinen Fall zu Fälschungen.)
Das Thema ist gar nicht so schlecht, da es eine gewisse Furcht anspricht. Jeder könnte von solchem Pfusch betroffen sein. Jedoch ist das Thema auch nicht wirklich neu und als Aufhänger wird es an sich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor locken.
Der Punkt ist nicht, was wir glauben, sondern ob du in einer Story eine ausreichende und vor allem auch glaubwürdige Furchtkulisse aufbauen kannst. Generell könnte man mit einer guten Aufarbeitung der Pharmabranche (da gibt es mit Sicherheit mehr als nur ein paar fragwürdige Praktiken) schon Publicitiy bekommen, aber ich frage mich, ob man da als nicht-insider überhaupt irgendwie an benötigte Informationen (Praktiken) ran kommen kann und ob man die Vorgänge als nicht-Wirtschaftler und nicht-Mediziner überhaupt als das bewerten kann, was sie sind (um das dann eben in einem Roman zu verarbeiten).
Der Rest, etwa Spannungsbogen, Charaktere, Plotverlauf, Geschwindigkeit einer Erzählung, welche Menge an Details notwendig sind und welche eher ermüdend wirken etc ist dir vermutlich besser bekannt als uns allen zusammen.
Wie gesagt, ich denke nicht, dass es um das geht, was wir *glauben*, sondern ob du ein gutes Szenario - und vor allem ein "erweitertes Thema, um das es eigentlich geht" - hin bekommst.
Ich meine, niemand hat in den 90ern "geglaubt", dass irgendwer tatsächlich Dinosaurier auf einer Dschungelinsel züchtet...
Wobei Jurrasic Park natürlich auch ein sehr aktuelles Thema war, weil zu der Zeit Gentechnik oft diskutiert wurde. Und heute gibt es immer noch Filme über Gentechnik. Das Thema wird also noch aufgegriffen, obwohl es schon mal da war.
Du hast aber recht, Chedala, ob ich als nicht-Insider so den Durchblick habe, weiß ich nicht. Bisher habe ich jedenfalls mit einem Biologen und einer Pharmareferentin gesprochen und weiß nur, dass die ganze Pharmaindustrie ein recht unüberschaubarer Laden ist. Es geht ja auch nicht darum, alles 100 % realistisch darzustellen, denn das ist es eigentlich ja ohnehin nie in Romanen oder Filmen.
Klar, man braucht schon ein gutes Szenario, aber die Idee muss ja auch schon irgendwie glaubwürdig sein. Wenn Crichton Jurrasic Park vielleicht zehn Jahre früher geschrieben hätte und sein Zeit voraus gewesen wäre, hätte er vielleicht keinen Verleger gefunden, weil alle gesagt hätten: So etwas von an-den-Haaren-herbeigezogen.
Eigentlich muss die Idee nicht glaubwürdig sein - ich glaube fast, je unglaubwürdiger, desto spannender. Denn genau in dem Moment, in dem man es als Autor schafft, eine Idee durch wissenschaftliche Belege plausibel erscheinen zu lassen, kommt vermutlich beim Leser die Spannung im Sinne "und was ist, wenn es wirklich so ist?" auf.
Jurassic Park funktioniert auch deswegen so gut, weil Crichton seine Idee mit soviel sehr plausibel klingenden Wissenschaftsbelegen untermauert und ausschmückt, dass alles logisch und richtig und machbar klingt. Und man (zu der Veröffentlichungszeit zumindest) anfängt, zu grübeln, ob nicht doch irgendwo jemand... auf einer einsamen, privaten Insel...
Wenn es ein Thriller mit wissenschaftlichem Schwerpunkt sein soll, müsste die wissenschaftliche Begründung so gut sein, dass sie alle, die nicht gerade speziell vom Fach sind, erst einmal überzeugt.
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You can not cage the wind, nor can you quieten him.
Crichton hat Jurassic Park schon einmal früher geschrieben: Das Buch heißt "Congo" und ist ja schon ziemlich ähnlich aufgebaut (mit einem ähnlichen Thema; Gentechnik gab es damals noch nicht, daher wurde bei Congo noch "gezüchtet").
Aber das "Thema" des Buches ist ja auch nicht unbedingt das, um das es eigentlich geht. Vordergründig ist das Thema von Jurassic Park ja einfach "Dinosaurier klonen", aber es geht ja eigentlich um viel mehr: Verantwortung in der Wissenschaft, Wissenschaft als Entertainment, die Unvorhersehbarkeit von komplexen System (im Buch findet sich das sowohl im Computersystem des Parks thematisiert als auch in der ganzen Gen-Geschichte wieder), die Unzuverlässigkeit von Firmen und Leuten, die mit Dingen, die sie nicht überschauen, Geld verdienen wollen...
"Der Schwarm" thematisiert ja auch deutlich mehr, als nur einen vordergründigen "Plot".
Ich denke auch nicht, dass es darum geht, alles 100% realistisch dar zu stellen. Das geht ja auch nicht, weil ein Roman schon eine gewisse Zuspitzung braucht, die so in der echten Welt kaum zu finden ist. Aber wenn man sich am Ende doch alles ausdenkt, wäre es besser, Fantasy zu schreiben. Denn da kann man sich ja wirklich alles frei ausdenken und dann darauf aufbauend eine konsistente Welt aufbauen. Bei solchen Echtwelt-Thrillern ist ja auch gerade der Umstand, DASS eben viel "Echtes" drin steckt das wirklich Spannende. Der Autor vermittelt mehr, als nur einen Plot. Z.B. über Ozeanographie, Vulkanismus, die Auswirkungen vom globalen Verkehr (plötzlich sind dann Quallen aus dem Indischen Ozean in der Arktis und stellen da Unsinn im Ökosystem an oder so was)...
Daher finde ich es schon schwierig, aus etwas einen glaubhaften und interessanten (und genau im Zusammenspiel dieser beiden Eigenschaften ist der Knackpunkt!) Hintergrund aus etwas zu stricken, von dem man kaum Ahnung hat. Sicher kann man sich einen schurkischen CEO von irgendeiner Pharmafirma ausdenken, die aus Profitgier irgendwas gemeines mit billigen Medikamenten macht... aber ohne weiteren, sehr gut recherchierten Hintergrund würde ich eher eine Geschichte über den bösen Magier Xulludan schreiben, der das Peradon-Extrakt, dass die Armeen des guten Königs Herbaldar III. brauchen, verpanscht. Dann kann ich mir frei ausdenken, was daran so böse ist, wie das Extrakt funktioniert, wo es herkommt, wie die "Firma", die das abbaut/herstellt aufgebaut ist etc.
Aber wie gesagt... mit einem guten Hintergrund lässt sich sicher auch was aus der Pharmabranche machen, die vermutlich durchaus in der Echtwelt schon sehr... hmm... spannend (und mitunter kritisch zu bewerten) ist. Wenn man da recherchiert, findet man bestimmt noch viele gute Plotpunkte, die sich super mit in eine Geschichte einbauen lassen (und nicht alle werden schreien, wie böse das alles doch ist). Eine böse Firma, die böse Sachen in Deutschland macht, könnte schon ein passender Aufhänger sein.
Aber vielleicht ist das alles für den Workshop auch zu viel und du kannst einfach los legen. Ich finde, dass eine gute Geschichte oftmals nicht so sehr auf den Hintergrund ankommt. Solange der zumindest innerhalb der (Roman-)Welt glaubwürdig aufgebaut ist.
Nee, das ist nicht zu viel. Wir werden zur Recherche angehalten.
In "Der ewige Gärtner" geht es z.B. um illegale Medikamententests in Afrika. Ich habe zwar das Buch nicht gelesen, sondern "nur" den Film gesehen. Aber da hatte man schon den Eindruck, alles baue aufeiander auf und sei gut recherchiert, obwohl es im Grunde "nur" darum ging: Die Frau der Hauptfigur findet heraus, dass illegal ein Medikament an den ärmsten der Armen getestet wird, geht auf die Barrikaden, verfasst einen Bericht darüber und muss dafür sterben. Ihr Tod ist der Auslöser im Film und ihr Mann versucht also in ca. 100 Min. herauszubekommen, warum sie sterben musste und kommt so dem ganzen schließlich ebenfalls auf die Schliche.
Hatte ich eigentlich einen Punkt hier? Grübel ... Ach ja, der Film ist auch ohne wissenschaftliche Belege spannend. Andererseits wäre es auch anmaßend, mich als Autor mit einem Werk von John Le Carré zu vergleichen. LOL.
Naja, mal sehen. Gute Recherche kann es ja nur besser machen, weil man mehr Hintergrundwissen hat.
ZitatGepostet von Anessa Unter Fälschungen verstehe ich wirklich Fälschungen, also Produkte, bei denen die Verpackung geändert wurde und etwas anderes drin ist, als drauf steht. Oder aber Produkte, die überhaupt nicht wirken, weil sie z.B. nur gefärbtes Wasser enthalten. Oder Produkte, die schlimme Nebenwirkungen erzeugen, gerade weil sie mit schädlichen Substanzen gestreckt sind
Hm... ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das wirklich so viel her gibt für einen Thriller. Das Thema "Produkte, die überhaupt nicht wirken" lässt sich vermutlich nicht so spannend aufmachen, weil eben nichts Dramatisches passiert, abgesehen davon, dass derjenige, der sie nimmt, nicht geheilt wird (was ja aber auch bei an sich wirksamen Medikamenten immer wieder passieren kann und deshalb nur mäßig Spannung oder Dramatik bietet). Interessanter sind die Produkte mit den schlimmen Nebenwirkungen, aber das ist ein ziemlich ausgelutschtes Thema, finde ich... das gibt's schon seit dem Contergan-Skandal, ist also seit gut und gerne fünfzig Jahren ein immer wiederkehrendes Thema (der letzte Contergan-Film ist ja sogar erst kürzlich gelaufen).
Gerade Themen, die daueraktuell sind und immer wieder in den Nachrichten, Zeitungen, Filmen und Romanen verwurstelt werden, verlieren mit der Zeit etwas ihren Reiz, finde ich... ich zumindest fände es weniger spannend, noch einen Thriller über ein Thema zu lesen, das schon so "ausgelutscht" ist.
Da müsste es dann schon ein wirklich gutes Buch sein, und das ist, glaube ich, tatsächlich eher schwer zu realisieren bei einem Thema, in das man als Außenstehender so wenig Einblick hat. Da müsste man wahrscheinlich eng mit Leuten aus der Chemie-, Pharmazie- und Medizinbranche zusammenarbeiten, um allein die Abläufe glaubwürdig schildern zu können, und das lässt sich wahrscheinlich nur schwer bewerkstelligen.
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Dá fhada an oíche tagann an camhaoir - However long the night, the dawn will come
Hmm ... du hast natürlich Recht, dass es Themen mit Medikamenten-Skandalen schon gab. Aber bei Contergan war die Arznei nicht gefälscht, sondern war ja rechtmäßig auf dem Markt (was es irgendwie noch schlimmer macht ).
Kannst ja auf nichtzulassungspflichtige Nahrungsergaenzungsmittel ausweichen. Ueberhaupt Lebensmittel. Da wird einem eh schon schlecht, wenn man sich mit den ganzen zugelassenen Stoffen auseinandersetzt.
Centrum, der Feind in meinem Schrank !
Aber gibt in Deutschland weniger wirklich gefaelschte Medikamente als in anderen Laendern, das kann man wohl so sagen. Bogus Pars sind, soweit ich mich erinnere aber in anderen Bereichen durchaus keine Seltenheit (Automobilindustrie und eine Weile sehr diskutiert in der Flugzeugindustrie, und in beiden gibt es autorisierte und nicht-autorisierte).
In Wirklichkeit gibt es naemlich keinen Terrorismus bzw. er wurde 'erfunden', um die ganzen Abstuerze zu vertuschen, die aufgrund dieser billigen Nachbildungen verursacht wurden.
Ja, eine Idee, wir werden reich !
Wunschgrabsteininschrift:
Hier liegen meine Gebeine und ich wuenschte es waeren Deine!
ZitatGepostet von AZOG Centrum, der Feind in meinem Schrank !
Dazu würde mir sogar auf anhieb ein Cover einfallen :-)
Mit gefälschten Medikamenten hab ich auch noch keine erfahrungen gemacht. Es sei denn bei Aspirin wird neuerdings gepanscht.
Ich finde du könntest aus dem Thema durchaus was spannendes machen. Das Rad lässt sich ja auch nicht neu erfinden zumal es auch genug Bücher über Elfen und Orks gibt, die dennoch verschlungen werden und gefallen finden. Gut das Beispiel war jetzt weit hergeholt.